Die zeitgenössische Psychiatrie befindet sich in Krise. Jahrzehnte neuro¬wissen¬schaftlicher Forschung haben weder angemessene Erläuterungen, noch Behandlungen geliefert. Einer der Gründe für dieses Versagen könnte die Ambiguität ihrer zentralen Hypothese sein, nämlich dass psychische Symptome und Störungen natürliche Typen sind. Die Schule von Cambridge schlägt nun vor, eine neue Erkenntnistheorie für Psychiatrie zu erstellen, die mit der Entwicklung eines neuen Modells der psychischen Symptombildung beginnen müsste. „Psychische Symptome“ sind demnach hermeneutische Co-Konstruktionen, die sich in einem intersubjektiven Bereich manifestieren, der durch den Dialog zwischen Arzt und Patient geschaffen wird. Subjektiven Erfahrungen (die entweder durch neurobiologische oder psychosoziale Änderungen verursacht werden) dringen in das Bewusstsein des Patienten und verursachen Verwirrung und/oder Leiden. Um diese Erfahrungen zu verstehen, zu verarbeiten und mitzuteilen, konfiguriert sie der Patient mit Hilfe von Modellen, die aus seiner eigenen Kultur entlehnt werden. Es muss hier jedoch beachtet werden, dass die gleiche neurobiologische Information in unterschiedliche Symptome konfiguriert werden kann und dass andererseits verschiedene neurobiologische Informationen mittels eines einzigen Symptoms konfiguriert werden können. Daher sind „psychische Symptome“ abweichende hybride Kombinationen, die aus neurobiologischen und kulturellen Informationen bestehen. Um der Ethik gerecht zu werden, müssen therapeutische Interventionen diese Unterschiede berücksichtigen. Blinde Gehirnmanipulation muss in allen Fällen als kontraproduktiv angesehen werden.
Hermeneutik; Phänomenologie; Psychopathologie; Erkenntnistheorie