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Geleitwort

Diese Ausgabe der Pandaemonium Germanicum enthält eine Auswahl von Aufsätzen, die sehr unterschiedlichen Forschungsgebieten angehören und den zunehmend multidisziplinären Charakter germanistischer Studien aufzeigen - eine Entwicklung, die unsere Zeitschrift gerne aufnimmt und im Rahmen ihrer Möglichkeiten fördert.

Psychoanalyse, Kino, Fotografie, Soziologie, Ethnographie und Philologie sind einige der Themen, die in den Artikeln zu Literatur und Übersetzung aufgegriffen werden. Ergänzt wird diese Bandbreite außerdem durch die besondere Aufmerksamkeit, welche die meisten Mitwirkenden dieser Ausgabe Autoren und Kommentaristen schenken, die einer Vergangenheit angehören, welche nach Meinung mancher abseits der heutigen Forschungsinteressen und -bedürfnissen anzusiedeln wäre. Dennoch ist es das Werk von Walter Benjamin (1892-1940), Sigmund Freud (1856-1939), Niklas Luhmann (1927-1998) und des Fotografen Mario Baldi (1896-1957), das den Forschungsgegenstand in fünf der hier präsentierten Aufsätzen darstellt.

Literatur/Kultur

Benjamins Reflexion zur Tradition und ihrer Möglichkeiten, das revolutionäre Projekt ausgehend von der Idee einer historischen Diskontinuität zu befruchten, ist der Ausgangspunkt von María Belforte, um über die Literatur Kafkas nachzudenken. In "'Un Lautréamont Negativo': Tradición y Política en la Interpretación Benjaminiana de Kafka" ['A Negative Lautréamont': Tradition and Politics in Benjamin's Interpretation of Kafka] zeichnet Belforte den Weg des deutschen Denkers zu einer Kritik am Mythos nach, eine Arbeit, die eine Bewertung der komplexen und zum Teil obskuren Überschneidung von Elementen der jüdischen Mystik und marxistischen Kritik mit einschließt.

Benjamin dient auch als Inspiration für die Analyse, die Elisa Ramalho Ortigão in "Witz/Blitz: Fagulhas de luz na arte romântica segundo Walter Benjamin" [Witz/Blitz. Sparks of light in Romantic art according Walter Benjamin] unternimmt. Anfänglich von Friedrich Schlegel entwickelt, eröffnet die Idee des Witzes bei Benjamin die Möglichkeit, jenen Geistesblitz bestimmen, der dazu imstande ist, unsichtbare Risse zu beleuchten, die in besonderen Momenten den oben genannten Charakter einer nicht gänzlich linearen Geschichte zum Vorschein bringen.

Das Kino von Aleksandr Sokurov erreicht einen Höhepunkt in Faust, einem auf dem Werk Goethes basierenden Film. In "Stimmungen no Faust de Aleksandr Sokurov" [Stimmungen in the Faust by Aleksandr Sokurov] verbindet Alex Martoni Goethes Zur Farbenlehre mit gewissen, vom russischen Filmemacher ausgelösten "Gefühlsmodulierungen". Martoni zeigt anhand eines sehr besonderen und fein schattierten Farbeneinsatzes die nuancenreiche Beziehung, die Sokurovs Film mit der Tragödie und den Essays von Goethe eingeht.

Ausgehend von den Landschaftsdarstellungen eines Frans Post, über die Gemälde von Debret und Rugendas bis hin zur Fotografie von Augusto Stahl und Pierre Verger zeigt sich deutlich die Anwesenheit ausländischer Maler und Fotografen in Brasilien, die das Land in verschiedenen Epochen seiner Geschichte porträtiert haben, indem mal landschaftlich-geographische Aspekte, mal die multiplen und komplexen anthropologischen Facetten betont werden. In seinem Aufsatz "Indiologia brasileira: literatura, fotografia e alteridade cultural na obra do austríaco Mario Baldi" [Brazilian Indiology: Literature, Photography and Cultural Otherness in the Work of the Austrian Mario Baldi] rekonstruiert Marcos de Brum Lopes die fotografischen und narrativen Erfahrungen Baldis, eines österreichischen Fotografen, der am Ende der 30er Jahre bei dem indigenen Volk der Carajás lebte. Im Rahmen einer Textanalyse des Buches Uoni-Uoni conta sua história, die in Zusammenhang mit dem beigefügten Bildmaterial durchgeführt wurde, identifiziert Lopes neben anderen, heute noch dringlichen Fragen "die Interpretation des komplexen Prozesses von Zusammenleben, Konflikt und Verhandlung zwischen indigenen Gesellschaften und weiteren brasilianischen Volksgruppen."

Santiago Gabriel Calise untersucht in "A decorporealized Theory? Considerations About Luhmann's Concept of the Body" das Konzept des "Körpers" im Rahmen der von Niklas Luhmann entwickelten Systemtheorie. Seine Studie verdeutlicht, wie schwierig es ist, die Korporalität im Sinne der westlichen Tradition vor dem Hintergrund einer interpretativen Matrix zu verorten, die den minimal notwendigen Erfordernissen einer plausiblen soziologischen, ethnographischen und psychologischen Einordnung standhält.

Übersetzungswissenschaft

Zu einer Zeit, in der in Brasilien diverse verlegerische Projekte zum Werk Freuds Konturen annehmen, erweist sich die kritische Einschätzung von Texten, die bereits ins Portugiesische übersetzt wurden, als besonders angebracht. In "As retraduções de Trauer und Melancholie para o português: o léxico freudiano sob o olhar da Linguística de Corpus" [Trauer und Melancholie retranslated into Portuguese: Freud's lexicon from the perspective of Corpus Linguistics] untersuchen Rozane R. Rebecchi und Marlene D. Andreetto fünf Versionen des grundlegenden Freudschen Essays - hierzulande bekannt unter dem Titel Luto e melancolia -, die alle den deutschen Originaltext zum Ausgangspunkt nehmen. Mit Rückgriff auf die analytischen Werkzeuge der Korpuslinguistik vergleicht die Autorin die verschiedenen Übersetzungen und diskutiert dabei die Übernahme von Begriffen aus früheren Ausgaben, insbesondere solcher aus der ab den 70er Jahren publizierten Edição standard brasileira.

Alessandra Ferreira Castilho da Costa und José da Silva Simões besprechen in ihrem Aufsatz "Transposição da oralidade à escrituralidade na tradução: edição crítica da Textlinguistik de Eugenio Coseriu em português" [Transposition from orality to literacy in the translation: critical edition of Coseriu´s Textlinguistik in Portuguese] verschiedene Übersetzungsstrategien, welche die Autoren bei der Übertragung von Coserius "Textlinguistik" ins Portugiesische angewendet haben. Es handelt sich dabei um eine durch Tonaufnahmen dokumentierte Vorlesung, die der bekannte Sprachwissenschaftler 1977/78 an der Universität Tübingen gehalten hat und die erstmals im Jahre 1994 als Handbuch in deutscher Sprache erschienen ist.

Sprache

Der letzte Artikel dieser Ausgabe unserer Zeitschrift ist im Bereich der Sprachlehrforschung angesiedelt. Bernardo K. Limberger und Vanessa Fonseca Barbosa untersuchen in ihrem Beitrag "A abordagem dos gêneros do discurso em um livro didático de alemão como língua estrangeira para iniciantes" [The speech genres approach in a textbook of German as a foreign language for beginners] unter Bezugnahme auf die Diskurstheorie des Bachtin-Kreises, wie drei Textsorten - Telefongespräch, E-mail und Grafik - in einem bekannten kommunikativen DaF-Lehrwerk für Jugendliche dargestellt werden.

Interview

Ein von Ruth Bohunovsky geführtes Interview mit dem Direktor des Stefan Zweig Centre Salzburg, Klemens Renoldner, beschließt die aktuelle Ausgabe unserer Zeitschrift.

Wir danken unseren Autoren und Gutachtern und wünschen allen eine angenehme Lektüre.

Tercio Redondo,

Dörthe Uphoff

[Übersetzt von Dörthe Uphoff]

Publication Dates

  • Publication in this collection
    Jul-Dec 2015
Universidade de São Paulo/Faculdade de Filosofia, Letras e Ciências Humanas/; Programa de Pós-Graduação em Língua e Literatura Alemã Av. Prof. Luciano Gualberto, 403, 05508-900 São Paulo/SP/ Brasil, Tel.: (55 11)3091-5028 - São Paulo - SP - Brazil
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